Historie
Anfang der 1950er Jahre war die Situation der Wasserversorgung in der heutigen Region Bonn/Rhein-Sieg bedenklich.
Die Stadt Bonn förderte ihr Trinkwasser damals aus zwei Schachtbrunnen des im Jahr 1875 errichteten Wasserwerkes Gronau, deren Standorte nur durch die Uferstraße vom Rheinufer getrennt waren. Das überwiegend aus der fließenden Welle des Rheins stammende und nicht wesentlich filtrierte Wasser wurde ohne Aufbereitung nur nach einer Desinfektion mit Chlor im Stadtnetz verteilt.
Die Bedingungen der Trinkwasserversorgung in den umliegenden und später nach Bonn eingemeindeten Orten, musste ebenfalls dingend verbessert werden.
In der Kreisstadt Siegburg entsprachen die Wasserversorgungsverhältnisse im Wesentlichen denen in Bonn. Das im städtischen Wasserwerk aus den unmittelbar an der Sieg legenden Brunnen geförderte Wasser war durch häusliche und industrielle Abwassereinleitungen bereits im Oberlauf des Flusses, außerhalb des Landes NRW, in seiner Eigenschaft und Qualität sehr stark beeinträchtigt.
Am 12. Juni 1953 wurde der Wahnbachtalsperrenverband (WTV) gegründet. Sein Ziel war es, mit dem Bau und Betrieb einer Talsperre die Wasserversorgung in dem von starker Bevölkerungsentwicklung gekennzeichneten Raum der vorläufigen Bundeshauptstadt Bonn und des mit ihr eng verflochtenen Umlandes durch eine in die Zukunft weisende Lösung nachhaltig zu sichern.
Zu den Gründungsmitgliedern gehörten die Stadt Bonn, der Landkreis Bonn, der Siegkreis, die Stadt Siegburg und die ehemaligen Phrix-Werke. Die waren mit 13 Millionen Kubikmetern Wasser auch einer der ersten Großkunden. Allerdings handelte es zunächst nicht um Trinkwasser, sondern Brauchwasser, das für eine wasserintensive Chemiefaserproduktion benötigt wurde.
Vier Jahre, von 1954 bis 1958, dauerten die Bauarbeiten, bis die Talsperre in Betrieb genommen werden konnte. Vor dem ersten Spatenstich mussten die „Luttersmühle”, das Gasthaus „Wahntaler Schweiz“ sowie zwei landwirtschaftliche Anwesen, der Hof „Hillenbach” und „Petershof” abgerissen, die Bewohner dieser Häuser umgesiedelt werden. Am Einlauf des Wahnbaches, wo die heutige Vorsperre steht, befand sich die Gaststätte „Herkenrather Mühle”, die der WTV über mehrere Jahre als Versuchsanlage für Phosphoreliminierungsanlagen nutzte.
Das Wahnbachtal war bis zum Bau der Talsperre zwar nur dünn besiedelt, wurde aber von vielen weiteren Bauern aus den umliegenden Dörfern als Weide genutzt. Insgesamt lebten rund 20 Menschen im Wahnbachtal. Eine dorfähnliche Struktur gab es nicht. Vor dem ersten Spatenstich zum Talsperrenbau mussten alle Anwesen abgerissen, die Bewohner der Häuser umgesiedelt und vom Wahnbachtalsperrenverband entschädigt werden. Ebenso wie die rund 2.000 Privatpersonen, denen etwa 3.000 kleine und kleinste Parzellen gehörten, die sie zum Grasen und zur Futtergewinnung für ihre Tiere nutzten und die Grund und Boden abtreten mussten, der als Schutzstreifen oberhalb der erwarteten Wasserlinie geplant war. Der WTV verhandelte mit jedem einzelnen Besitzer und schloss Verträge. „Heimatlos – zum Wohle der Allgemeinheit“ titelte im August 1955 eine Zeitung und schrieb: „Heimatlose gibt es nicht nur als Folge der Flucht und zwangsweisen Ausweisung von Millionen von Deutschen aus den Ostgebieten. Auch hier im Westen gibt es fast monatlich eine Anzahl von Menschen, die ihren seit Jahrhunderten angestammten Familienbesitz aufgeben und in eine fremde Umgebung ziehen müssen. Sie werden heimatlos, weil der Bau großer Anlagen im Dienste der Allgemeinheit es erforderlich macht.“ Weiter heißt es in dem Blatt: „Wenn eine seit Jahrhunderten bestehende Wassernot endlich behoben und mehrere hunderttausend Menschen mit gutem Trink- und Brauchwasser versorgt werden können, dann ist es selbstverständlich, dass die Interessen der Einzelnen an Familienbesitz und Familientradition einmal zurücktreten müssen, so traurig das im Einzelfall ist.“ Die Zeitung schrieb ferner, der Verband habe Entschädigungen angeboten, „die auch nach Meinung der zu Rate gezogenen Deutschen Bauernsiedlung und des Rheinischen Landwirtschaftsverbandes außerordentlich hoch waren.“
Im April 1956 konnte nach intensiven Verhandlungen der Kaufvertrag zwischen dem letzten Müller der Luttersmühle und Landwirt, Josef Küpper, sowie dem Wahnbachtalsperrenverband über den Erwerb des Gesamteigentums von 10,6 Hektar land- und forstwirtschaftlicher Fläche einschließlich der Gebäude und Mühleneinrichtung abgeschlossen werden. Küpper fuhr von hier aus nach einem festgelegten Rhythmus die Ortschaften auf beiden Seiten des Wahnbaches, zum Beispiel Happerschoß, Heisterschoß, Schneffelrath, Umschoß und Neuenhaus an, um bei den ansässigen Bauern das Getreide zum Mahlen abzuholen. Die Mühle war der Mittelpunkt des Tals. Mit der Vertragsunterzeichnung war die Luttersmühle, die erstmals 1645 urkundlich erwähnt wurde und seit 1903 im Eigentum der Familie Küpper stand, Geschichte. Die Familie baute in Neunkirchen ein Wohnhaus und zog dorthin.
Etwa 300 Meter von der Luttersmühle entfernt befand sich am Hang der Hof Hillenbach der Familie von Wilhelm Hover mit einer Fläche von rund 30 Morgen. Neben Landwirtschaft betrieb Hover einen Holzhandel und Steinbrüche im Wahnbachtal. Wenn heute der Wasserspiegel des Stausees einige Meter abgesunken ist, werden Grund- und Stützmauern des Hofes sichtbar. Der Eigentümer des Hofes siedelte sich nach Aufgabe seines Hofes in Hochhausen an.
Der Petershof der Familie de Vries wurde als erster der landwirtschaftlichen Betriebe im Wahnbachtal geräumt. Nach dem Abriss der Scheune diente das Wohnhaus noch einige Zeit als Quartier für die Waldarbeiter. Dann musste auch das Haus abgerissen werden, das Vieh wurde verkauft. Jan de Vries baute den Dachstuhl des Gebäudes ab. In der Marienstraße in Kaldauen, wohin die Familie zog, baute er den Dachstuhl mitsamt seiner roten Ziegel als Geräteschuppen wieder auf. Jan de Vries war von 1963 bis 1985, seine Ehefrau Johanna von 1961 bis 1968 beim Wahnbachtalsperrenverband tätig.
Auch das von Josef Küppers Bruder Peter 1928 in Luttersmühle erbaute Gasthaus „Wahnbachtaler Schweiz“, das ab 1932 vom Ehepaar Robert und Antonie Scholemann übernommen und von Antonie Scholemann 25 Jahre lang bis zum Abbruch geführt wurde, musste der Talsperre weichen. Robert Scholemann bekam zusammen mit seinem Sohn Robert als Teilentschädigung eine Metzgerei in Wattenscheid angeboten.
Reine Wohnhäuser gab es im Wahnbachtal nicht. Nur ein bescheidenes Wochenendhäuschen, das ein Unternehmer aus Bonn-Beuel in der Nähe des Petershofes für seine Familie errichtet hatte und das er bei der „Räumung“ des Wahnbachtals verlassen musste. Ein neues und größeres Wochenendhaus baute er dann im kleinen Weiler „Gutmühle“, der zu Neunkirchen-Seelscheid gehört und direkt am Wahnbach liegt. Die gleichnamige Mühle mit dazugehöriger Landwirtschaft dort hatte Peter Küpper bereits 1932 übernommen, nachdem er sich von seiner Gastwirtschaft „Wahntaler Schweiz“ in Luttersmühle getrennt hatte.
Am Einlauf des Wahnbaches, wo die heutige Vorsperre steht, befand sich die Gaststätte „Herkenrather Mühle“. Die musste zunächst nicht für den Talsperrenbau aufgegeben werden, sondern lockte mit Inbetriebnahme der Talsperre 1958 sogar zusätzlich zahlreiche Gäste mehr an. Der Betrieb des beliebten und stark frequentierten Ausfluglokals wurde allerdings später aufgrund strenger Auflagen der Wasserwirtschaftsbehörde eingestellt. 1961 kaufte der WTV das Gebäude und nutzte es bis 1972 über mehrere Jahre als Versuchsanlage für Phosphoreliminierungsanlagen, dann riss er es ab.
Auf der gigantischen Dammbaustelle waren im Schnitt 550, in der Spitze sogar 840 Mitarbeiter beschäftigt, die mangels ausreichender Anzahl von Arbeitskräften im hiesigen Raum von außerhalb angeworben wurden. Bei der Schüttung des Dammbauwerks waren außerdem 55 Großraumkippfahrzeuge mit je 20 Tonnen Nutzlast im Einsatz. In Hochzeiten zählte man auf der Verbindungsstraße zwischen dem am Hang des Müncheberges eingerichteten Steinbruch und dem etwa 1.400 Meter entfernten Bauwerk bis zu 1.500 Transportfahrten täglich, pro Minute ein Fahrzeug in beide Richtungen. Ferner wurden 23 Dampfbagger, neun Planierraupen und acht Großbohrgeräte benötigt. Bereits am 19. Juli 1956 feierte man Richtfest und schon am 20. Dezember, zehn Monate früher als geplant, konnten die Absperrklappen im Grundablassstollen des Dammbauwerks geschlossen werden. Damit begann der Einstau der Wahnbachtalsperre. 52 Jahre später, 2008, musste die Talsperre wegen dringender Sanierungsarbeiten auf eine Resttiefe von rund 20 Metern abgelassen werden. Tausende Besucher pilgerten in das „leere Tal“, erlebten einen wahren Wandel der Natur und warfen einen Blick auf die sichtbar gewordenen Restmauern der einstigen Gebäude, die bis dahin überstauten Steinbrüche, Straßen und die erhaltene Bogenbrücke über das Derenbachtal.